1. Die Insel ist kein Paradies, in welches ich mich zurückziehen und die Welt Welt sein lassen kann.

Text des Tages: 2. Kor 1,3-7            Fortlaufende Bibellese: Hi 21,16-34

Paulus kannte persönliche Krisensituationen. Er schrieb von „unserer Bedrängnis“, von „ allerlei Bedrängnis“ und von den „Leiden Christi, die reichlich über uns kommen“. Er schrieb vom „Trost, der sich wirksam erweist“. Paulus schrieb einen sehr persönlichen Brief, gesättigt von eigenen Erfahrungen. Auf seinen Reisen im Nahen Osten und in Kleinasien war er des Öfteren gefangen genommen worden, verprügelt, gesteinigt, fortgejagt (z.B. Apg 14; 2Kor 11). Er bezeichnete sich selbst als „Missgeburt“ (1Kor 15,8), weil er keine christliche Musterbiographie vorweisen konnte, sondern die ersten Anhänger des auferstandenen Jesus verfolgt hatte. Außerdem sprach Paulus davon, er habe einen „Stachel im Fleisch“ (2Kor 12,7), den ihm Gott trotz seiner vielen Bitten und Gebete nicht weggenommen habe und mit dem er leben müsse. Was damit genau gemeint ist, wissen wir nicht, vielleicht eine unheilbare körperliche Einschränkung, möglicherweise eine Art Depression, Erschöpfung, vielleicht auch Schuldgefühle, Christusgläubige verfolgt und ausgeliefert zu haben. 

Bei Paulus war also nicht alles glatt gelaufen. Ganz im Gegenteil: Er kannte Krisen auf allen Ebenen. Er war angegriffen, indem Menschen zu Feinden wurden, indem er geschlagen wurde, indem er ausgegrenzt wurde sowie selber psychisch oder physisch am Ende war. Körperliche, soziale, psychische Krisen hatte er erlebt. Aber auch spirituell wurde es für ihn schwierig: Die Christen in Korinth, denen er diesen Brief schrieb, hatten ihm vorgeworfen, ein geistlich schwacher Mensch zu sein. Die Autorität als Apostel, als Gesandten Gottes, sprachen sie ihm ab. 

Die Christen Korinths waren der Versuchung erlegen, sich in spiritueller Hinsicht gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Sie standen im Wettstreit, welche von ihnen die besseren Christen wären. Sie meinten dies weniger moralisch, als wir das verstehen könnten, da heutzutage der christliche Glaube überwiegend als Ethik, als gutes Handeln, als Summe guter Werte verstanden wird. Die Korinther meinten es sportlich: Wer von uns hat die größeren Erfolge im Glauben? Wer erlebt die deutlicheren Wunder? Wem ist Macht gegeben, Heilungen zu wirken, Prophetien auszusprechen u.ä.? 

Wo Menschen sich in solcher Weise vergleichen, wird erfahrungsgemäß Gemeinschaft nicht gefördert, sondern Gemeinschaft zerstört. Paulus sah sich infrage gestellt. Die spirituell selbstbewussten Korinther bezweifelten seine Autorität. Zumindest hatten sie ihm deutlich mitgeteilt, dass sie ihn für einen schwachen Glaubenden hielten. 

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis“. Ob körperlich, sozial, psychisch oder spirituell – für seine Krisen hat Paulus die rettende Insel gefunden. Liebe Schwestern und Brüder, das mag tröstlich sein, zu sehen, dass andere Menschen und solche Personen wie Paulus in Krisen geraten können. Paulus war ein Christ mit Sorgen und Nöten wie andere auch. Es wäre ein Missverständnis, dass mit dem Glauben an Jesus Christus die Sorgen und Nöte aufhören würden. 

Die Insel im wilden Meer ist, wie der heutige Sonntag in der Passionszeit, keine Gegenwelt, in der wir die eigentliche Welt hinter uns lassen könnten. Die Passionszeit geht weiter, liebe Schwestern und Brüder, aber der Horizont ist klarer geworden. Das Ziel steht jetzt unverrückbar vor Augen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. 

Die alte Tradition, auf einer Beerdigung am Grab ein Osterlied zu singen, z.B. „Christ ist erstanden“, hat genau diesen Sinn. Falls Sie noch nicht über Ihre künftige Bestattung nachgedacht haben, es wäre eine Überlegung wert. Denn eine Insel in der Passionszeit zu finden, heißt nicht, den Tod zu umgehen, sondern dem Auferstandenen zu begegnen. „Lätare“, „freut euch“! Paulus rettete sich in seinen Krisen auf die Osterinsel.